Fahnen und Symbole 1848/49 und der Kampf um demokratische Freiheiten und soziale Rechte


Von Prof. Dr. Rüdiger Hachtmann

Für 1848/49 wird gern behauptet, die Revolution habe im deutschen Raum unter den Farben Schwarz-Rot-Gold stattgefunden, die revolutionären Massenbewegungen hätten ihre Freiheitsforderungen unter – nach der Uniform des Freikorps Lützow von 1814 gestalteten – deutschen Fahnen durchsetzen wollen. Tatsächlich dominierten in den ersten Tagen, nicht zuletzt auf den Straßen Berlins, zunächst zwar die Farben Schwarz-Rot-Gold, die nicht nur für den Wunsch nach nationaler Einheit, sondern auch für die Forderung nach Einführung einer konstitutionellen Monarchie standen. Die Geschichte der Farbensymbole ist jedoch komplizierter als sie auf den ersten Blick zu sein scheint, und zwar von Beginn an.

Während das traditionelle Schwarz-Weiß – die Farben der Hohenzollernmonarchie – bis in den Spätsommer 1848 hinein von den Straßen Berlins verschwunden war, erwuchs der ‚deutschen Trikolore’ schon früh rote Konkurrenz. Die Vossische Zeitung registrierte in ihrer Berichterstattung über die Geschehnisse des 18. März mit einer gewissen Besorgnis, dass noch vor den berühmten zwei Schüssen in der Mittagszeit „ein Haufen von mehr als tausend Mann vor das berliner Rathaus gezogen [kam], eine schnell improvisierte rothe Fahne vorantragend“. In den stärker ‚proletarischen’ Stadtteilen sollen weitere „Trupps unter Vortragen rother Fahnen“ durch die Straßen gelaufen und außerdem an vielen Häusern rote Fahnen aufgesteckt worden sein, berichtete der Techniker und Mathematiker August Kramer in einem Brief, den er noch am 18. März 1848 (gegen 18 Uhr) an seinen Bruder zu Papier brachte. Der Fürst Wilhelm Radziwill beobachtete dann während der Kämpfe, dass auf „einer Barrikade in der Nähe des Köllnischen Rathauses“, die von einem „großen Volkshaufen“ verteidigt wurde, „die rote Fahne“ wehte.

Paris, Barrikade in der Rue Soufflot im Juni 1848

Die Geschichte der deutschen Trikolore ist ebenso bekannt wie die der Farben der Hohenzollern. Wo aber liegen die Ursprünge des Symbols der Roten Fahne? Warum stieg bereits am 18. März 1848 nicht nur Schwarz-Rot-Gelb, sondern auch Rot zum revolutionären Symbol auf? Folgt man dem Historiker Ernst Pfleging, spielte die rote Fahne als Blut- und Feuerbanner bereits im Mittelalter eine wichtige Rolle; manche Historiker datieren deren Geschichte noch weiter zurück. Die Rote Fahne gehörte zudem zu den ältesten Symbolen der Schweizer Eidgenossen. Seit der frühen Neuzeit war sie vielerorts das Zeichen für den Ausnahmezustand. Für manche Meuterer wurde sie bereits im 18. Jahrhunderts ebenfalls zum Symbol. 1770 hissten revolutionäre Anhänger der „Sons of Liberty“ auf dem Harvard Campus ein rotes Tuch an einem Nadelbaum; für die Zeitgenossen waren die „bloody colours“ ohne weiteren Kommentar als politisches Symbol verständlich. In Europa stieg die Rote Fahne 1832 und 1834 während der, von Webern und anderen unterbürgerlichen Schichten getragenen Streiks und Aufstände in Lyon und weiteren frühindustriellen Zentren Frankreichs zum politischen Symbol auf.


„Angst vor der roten Fahne“ (Honoré Daumier)

Begünstigt wurde der Aufstieg zum Symbol des Protestes und der frühen Arbeiterbewegung dadurch, dass die phrygische Mütze der Jakobiner – ein Symbol für die Republik – rot war. Ende der dreißiger Jahren wurde die Farbe Rot zum offiziellen Signet der französischen Sozialisten.

Zu Beginn der Dritten Französischen Revolution, am Abend des 24. Februar 1848, hatte die sozialistische Bewegung in Paris, die dort stark war, staatliche Nationalwerkstätten und die Selbstverwaltung der Arbeiter sowie den offiziellen Titel der „einen und unteilbaren Republik“ (wie er 1792 eingeführt worden war) gefordert. Darüber hinaus verlangte sie die Ersetzung der Trikolore durch die rote Fahne. Zu einer Ersetzung der Trikolore durch die rote Fahne kam es zwar nicht. Aber bürgerliche Republikaner und Sozialisten einigten sich auf einen Kompromiss: Die Trikolore als zentrales Nationalsymbol wurde beibehalten, allerdings mit einer roten Rosette versehen. Im gut informierten Berlin war das natürlich ebenso aufmerksam beobachtet worden wie die Einrichtung eines „Ministeriums der Arbeiter“ im westlichen Nachbarland unter dem Arbeiter Alexandre Martin (Albert) Ende Februar. Zwischen dem 10. und 13. März 1848 zirkulierte in Berlin eine vielbeachtete „Adresse der Arbeiter“, die neben weiteren sozialen Forderungen genau dies auch für Preußen forderte.

Das demonstrative Tragen roter Fahnen in Berlin am 18. und 19. März 1848 sollte symbolisch zum Ausdruck bringen, dass man die unter anderem in der Arbeiter-Adresse niedergeschriebenen Forderungen nun mit Nachdruck ein¬fordern wollte. Überbewertet und etwa als Ausdruck einer starken sozialistischen Strömung interpretiert werden darf das Auftauchen des Symbols Rot im Berliner Stadtbild zu diesem Zeitpunkt freilich nicht. Fundamentaloppositionelle Bedeutung erhielt die Farbe Rot in Berlin bei Sommerbeginn 1848. Bereits am 4. Juni hatten Beobachter der Vossischen Zeitung während einer Großdemonstration der demokratischen Vereine „mehrere rothe Fahnen erblickt“. Vor allem aber seit dem Sturm auf das Zeughaus vom 14. Juni wurden rote Fahnen ostentativ und immer häufiger getragen. Mit der Parole „Republik!“ und dem symbolträchtigen Vorantragen einer roten Fahne wollte man nicht nur der Unzufriedenheit darüber Ausdruck verleihen, dass die Hohenzollern und die Kamarilla am preußischen Hofe die politischen Verhältnisse weiterhin maßgeblich bestimmten. Rot als Farbe bot sich außerdem hier deshalb an, weil sich Friedrich Wilhelms IV. nach außen hin – seit seinem Berliner Umritt vom 21. März – ja mit der deutschen Trikolore zu identifizieren schien. Mindestens ebenso stark war in den Unterschichten auch die Distanz gegenüber dem zwar national orientierten, politisch indes gemäßigten und an der „sozialen Frage’“ letztlich desinteressierten „schwarz –rot-goldenen“ Berliner Bürgertum. Zudem war es nicht allein die frühe Arbeiterbewegung, die sich in Berlin Ende August 1848 das erste Mal national organisierte, die Rot zu ihrem zentralen Symbol machte. Auch die entschiedene Demokratie macht diese Farbe zu ihrem politischen Zeichen. Der Demokratische Klub, die größte demokratische Vereinigung Berlins, war weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt für seine Rote Fahne, die er auf häufigen, oft nach Zehntausenden zählenden Demonstrationen vorantrug.

Rot und der Ruf nach einer „sozialen Republik“ schoben sich in Berlin im Laufe des Jahres 1848 als Zeichen grundlegender Unzufriedenheit und entschiedenen Protestes zunehmend in den Vordergrund, z.B. während eines Erwerbslosen- und Arbeiter-„Krawalls“ am 16. Oktober, als Hunderte der „Fahne der rothen Republik […] unzählige Vivats ausbrachten“, oder am 31. Oktober, als sechstausend Menschen der Preußischen Nationalversammlung eine Sturmpetition unter rote Fahnen überbrachten, in der sie Solidarität mit den von gegenrevolutionären Truppen eingeschlossenen Wiener Revolutionäre (für zu großen Teilen die Farbe Rot ebenfalls zum Symbol wurde) forderten.

Bereits am 26. Juni 1848 glaubte eine Mehrheit der Stadtverordneten während der Sitzung des Berliner Lokalparlaments, dass „Gefahr im Verzuge“ sei, weil „die rothe Fahne schon zu verschie¬denen Malen ent¬faltet“ worden sei. In einer internen „Königlichen Botschaft“ vom 11. September 1848 sah Friedrich Wilhelm IV. das „Verbot und [die] Verpöhnung der rothen Fahnen, Hutfedern“ und anderer roter Symbole vor. Das konnte der König erst nach dem Scheitern der Berliner Revolution im Spätherbst 1848 durchsetzen. Er erreichte damit freilich vor allem, dass sich Rot nun als die Farbe der entschieden demokratischen, freilich illegalisierten Opposition durchsetzte, z.B. 27. April 1849, als die Krone die – stark liberaldemokratisch konturierte – nach einem allgemeinen und gleichen Wahlrecht gewählte Zweite Kammer des Preußischen auflöste und sich (so die Berliner Tageszeitungen) „große Volkshaufen, deren Führer mit rothen Schärpen und Mützen bekleidet waren und unter Vortragung einer rothen Fahne“ Straßenschlachten mit der Gendarmerie lieferten.

Sozialisten und ebenso nicht wenige Demokraten meinten, dass erst in Preußen die Demokratie vollständig durchgesetzt werden müsse, ehe an eine deutsche Einigung zu denken sei. Auch deshalb begann (wie eine Tageszeitung Anfang August 1848 beobachtete) „die Mode, die deutsche Kokarde zu tragen, sehr abzunehmen“. Trotzdem: Während der Sommermonate bestimmten rote und schwarz-rot-gelbe Farben gleichrangig das Berliner Stadtbild. Das Schwarz-Weiß der Hohenzollern hatte es dagegen selbst im Herbst der Revolution schwer. Überzeugte Preußen wurden zum Gegenstand von Hohn und Spott. Wagten sie es, „mit auffallend großer preußischen Kokarde dekorirt umherzugehen“, erregten sie leicht das „Missfallen der Menge“ und konnten, wenn sie Pech hatten, schnell verhauen werden. Nach dem Ende der Revolution wurde in Berlin die alte Ordnung auch symbolisch wiederhergestellt. Ab November 1848 verschwanden sowohl die deutsche Trikolore als auch rote Fahnen aus dem Stadtbild der Preußenmetropole. Das Schwarz-Weiß der Hohenzollern hatte sich noch einmal durchgesetzt, für siebzig Jahre. Ergo: Auch symbolisch lässt sich die Revolution, und damit ebenso das Erinnern und Gedenken an das „tolle Jahr“ 1848, nicht auf ein Entweder-Oder verkürzen, auf Schwarz-Rot-Gelb, den Wunsch nach nationaler Einigung, oder auf Rot, das Verlangen nach sozialen Rechten, das in den Großstädten 1848 immer stärker in den Vordergrund trat.

Rüdiger Hachtmann

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